Berichte

Rundreise Teil II - Zwischenseminar, Trujillo & Huanchaco, Huaraz

Ich befinde mich 1270km von meinem derzeitigen zuhause entfernt in Lurin, einem Vorort Limas. Hier einen Zwischenstopp meiner Rundreise durch Peru und einen kleinen Teil Ecuadors einzulegen wäre mir wohl im Traum nicht von selbst eingefallen, denn Lurin besticht trotz seiner unmittelbaren Nähe zum Meer nicht gerade durch herausragende Schönheit, schließlich ist der Ort ähnlich abgewrackt wie ein Dorf auf dem bolivianischen Land und außerdem vom Smog der peruanischen Hauptstadt umhüllt. Andererseits wäre eine fünfwöchige Reise mit nur elf Urlaubstagen ohne besagten Aufenthalt gar nicht erst möglich gewesen, denn für die An- und Abreise zu dem verpflichtenden und von „weltwärts“ vorgeschriebenen Zwischenseminar ergeben sich zusätzliche sechs Urlaubstage für die bolivianischen Freiwilligen.

Und obwohl Lurin selbst nicht viel zu bieten hat, ist das Gelände, auf dem wir die nächsten fünf Tage das Seminar abhalten werden, sehr schön. Das Gefühl, den Rucksack vorerst unbeachtet und halb ausgepackt in der Ecke liegen lassen zu können, bereitet selbst nach nur drei Wochen des Backpackings ein ungewohnt heimisches Gefühl, war ich doch vorher mit meiner Reisegruppe aus Max und Jakob höchstens zwei Nächte am selben Ort gewesen. Weitere erfreuliche Vorteile sind das kostenlose und hervorragende Essen, das vom „Küchenteam“ gezaubert wird (ich selbst werde ins „Abwaschteam“ gesteckt – definitiv einer der Nachteile des Seminars) und die Tatsache, dass den ganzen Tag sehr sehr geile Mangos und Maracujas zur Verfügung stehen – in Bolivien ist zu diesem Zeitpunkt keine Maracujazeit.

In den folgenden Tagen werden die verschiedensten Dinge geregelt und besprochen. Neben einigem organisatorischen Kram wie diversen Abrechnungen stehen jedoch in erster Linie die Freiwilligen im Mittelpunkt. Und so stellt jeder anhand einer kurzen PowerPoint-Präsentation vor, wie sein bisheriges halbes Jahr im Einsatzland verlaufen ist. Diese Einblicke, die ich aus den unterschiedlichen Ländern und Projekten erhalte, stellen für mich den interessantesten Teil des Seminars dar, regen mich dazu an, die eigene Zeit in Bolivien zu reflektieren und führen mir klar vor Augen, wie sich die Mitfreiwilligen während ihres Dienstes verändert und weiterentwickelt haben. Vor allem dieser letzte Punkt fällt während der ganzen fünf Tage auf: das Gemeinschaftsgefühl ist viel größer als noch bei den Vorbereitungsseminaren, einige treten viel selbstbewusster auf und bringen sich mehr in die Gruppe ein, andere zeigen sich rücksichtsvoller und interessierter als noch zuvor. Es gibt fast niemanden, der nicht durch andere Verhaltensweisen überrascht (im positiven Sinne) und ich frage mich, ob auch ich mich verändert habe, denn so etwas bei sich selbst festzustellen ist noch eine ganze Nummer schwieriger... Weitere Seminarinhalte, die besprochen werden, sind beispielsweise die Rückkehr nach Deutschland und gegebenenfalls notwendige Präventionsmaßnahmen, die das Wiedereinleben erleichtern sollen und die Frage inwiefern das Einbringen in die Arbeit des Vereins amntena e.V. auch nach dem Auslandsjahr noch sinnvoll stattfinden kann. Da die Freizeitmöglichkeiten im Ort doch eher beschränkt sind, gehen wir in den Pausen meistens runter an den Strand, der in fünf Minuten erreichbar ist oder es finden einfach Gespräche in einer geselligen Runde im Garten der Anlage statt.

Am letzten Seminartag geht es dann in die deutsche Residenz in Lima, wo der Botschafter lebt und wo wichtige Staatsgäste aus Deutschland untergebracht werden. Beim Besuch des unglaublich dekadenten Anwesens, dessen übertriebene Protzigkeit ja einzig und allein der Selbstdarstellung Deutschlands dient, wird mir etwas flau im Magen. Aber der Botschafter ist freundlich, hat einige sehr interessante Geschichten zu erzählen und beantwortet bereitwillig unsere Fragen. Nachdem ich dann noch in den Genuss gekommen bin, die Toilette nutzen zu dürfen, in die schon Joachim Gauck während seiner Amtszeit als Präsident gekackt hat, geht es in die Innenstadt der unglaublich riesigen Metropole. Da am darauffolgenden Tag der Besuch der Stadt durch den Papst ansteht, ist allerdings Sightseeing nur begrenzt möglich. Daher begnüge ich mich mit einigen anderen einfach mit einem entspannten Nachmittag im Schokomuseum und Faulenzen in einem Park.

Als dann alle Freiwilligen kurz vor Schluss des Seminars und der Zerstreuung in alle Himmelsrichtungen überlegen, wie ihre folgenden Reiserouten aussehen werden, bin ich zunächst unsicher, was ich jetzt eigentlich mit meiner verbleibenden Woche Reisezeit anfangen möchte und ob ich mich vielleicht anderen Reisegruppen anschließen soll. Schließlich entscheide ich mich aber dafür, alleine nach Trujillo weiterzureisen. Also fahre ich nach den herzlichen Abschiedsworten von Kurt erneut nach Lima rein, wo ich dann mit Dinah, die am Abend einen Bus nach Oxapampa nehmen wird um da andere Amntenas zu besuchen, noch ein bisschen durch die Stadt schlendere bis ich dann abends meine neunstündige Busfahrt nach Trujillo antrete.


Trujillo ist bei meiner Ankunft noch vom Besuch des Papstes gezeichnet, dessen Tour durch Peru (die von großen Teilen der Bevölkerung wegen der dadurch entstandenen enormen Kosten  - meiner Meinung nach völlig berechtigt - stark kritisiert wurde) neben Lima noch Puerto Maldonado und Trujillo beinhaltet. Als ich die außergewöhlich große und saubere Plaze de armas, die als ein der schönsten Südamerikas gilt, erreiche, ist noch immer das Gerüst der Bühne zu sehen und die Kathedrale ist völlig überlaufen, weil alle möglichen Leute sich irgendeine Statue ansehen wollen, die im Rahmen des Papstbesuches ihren Weg ins Innere gefunden hat. Relativ bald eröffnen sich mir die Vorteile, die es mit sich bringt alleine zu reisen: völlig selbstständig und ohne mich vorher in irgendeiner Weise mit den anderen absprechen und Kompromisse eingehen zu müssen (was natürlich nicht weiter schlimm ist!) kann ich ganz alleine entscheiden, wie meine Planung von jetzt an aussieht. Und so fahre ich nachdem ich mir ein Hostelzimmer genommen habe, mit einem Colectivo aus der Stadt hinaus, um mir Chan Chan, die mit 26qkm größte präkolumbische Stadt Amerikas und gleichzeitig größte Lehmziegelstadt der Welt anzusehen, die 1300 von den Chimú errichtet, später von den Inka erobert  und dann noch etwas später wegen ihres schieren Reichtums an Gold, Silber und Keramik von den Spaniern geplündert wurde.

Aus dem Colectivo ausgestiegen muss ich noch einen ca zwei Kilometer langen Fußmarsch durch die Wüste, die nur von einigen wenigen, ziemlich verfallenen Überresten der ehemaligen Metropole mit einst 60.000 Einwohnern unterbrochen wird, zurücklegen, bis ich die Ruinen erreiche, die noch am besten erhalten sind. Erst später erfahre ich, dass in diversen Reiseführern dringendst davon abgeraten wird, diese Strecke alleine zu Fuß zurückzulegen, da man ansonsten angeblich große Gefahr läuft, ausgeraubt zu werden. Völlig unversehrt betrete ich allerdings zwanzig Minuten später den Tschudi-Palast, den Teil der Stadt, der von den durch El Niño verursachten Überflutungen und heftigen Regenfällen am meisten vor dem Verfall verschont geblieben ist, wobei auch dieser Komplex deutlich schlechter erhalten ist, als andere Ruinen in Lateinamerika. Beeindruckend ist Chan Chan vor allem wegen der Größe. Und so gehe ich über den Zeremonialplatz, durch die Audienzsäle und zum Wasserreservoir und bestaune dabei die Reliefs mit Fischen, Meeressäugern und Seevögeln, die die Mauern der Anlage schmücken, während die Sonne immer heißer brennt. Als ich genug gesehen habe und dem kleinen Museum noch ein bisschen Zeit gewidmet habe, mache ich mich in der Affenhitze auf den ach-so-gefährlichen Rückweg. Auf halber Strecke hält ein Auto neben mir, im Inneren sitzen zwei Frauen, die offensichtlich Bock haben, mit einem Gringo zu quatschen, denn sie laden mich ein, mit ihnen noch zu einer weiteren Ruine zu fahren. Und da ich sowieso nichts mehr für den weiteren Tag geplant habe und mir die beiden nett erscheinen, nehme ich das Angebot an und es geht zum „Huaca de la luna“, dem Mondtempel, der auch als „Machu Picchu Nordperus“ bekannt ist. Die viel besser erhaltenen Tempelanlagen (wenn auch wesentlich kleiner) beeindrucken durch faszinierende  Wandbilder, die Figuren zeigen, tatsächlich noch mehr als Chan Chan. Nachdem mich meine neuen Bekannten noch mit ihrem Auto zum Terminal gefahren haben, wo ich meinen Bus nach Huaraz für den nächsten Tag buche, trenne ich mich wieder von ihnen. Diese Begegnung, die von einer Menge interessanter Gespräche geprägt war, vor allem, weil meine Begleitung aus Trujillo kam und sich dementsprechend gut auskannte, zeigen mir wieder deutlich, dass es durchaus auch sehr cool sein kann, wenn man alleine unterwegs ist.

Am nächsten Tag fahre ich ins nahegelegene Huanchaco, einen Strandort, der vor allem wegen seines gemütlichen Charmes und der Surfmöglichkeiten zu einem beliebten Touristenziel geworden ist. Also spaziere ich den Strand entlang, wo überall die für die Region typischen Schilfboote aufrecht stehen und esse die peruanische Spezialität Ceviche. Wieder zurück in Trujillo tue ich mir noch ein wenig Kultur an und besichtige die „Casa de la Emancipación“, in der sich heute die Banco Central befindet und wo 1820 die Unabhängigkeit Trujillos von der Kolonialherrschaft unterschrieben wurde, die Stein des Anstoßes für die Unabhängigkeit ganz Perus ein Jahr später war. Nachdem ich an der Plaza von Willy,  einem jungen Mann aus Trujillo angequatsch worden bin und mit ihm bei einem unterhaltsamen Gespräch einen Kaffe getrunken habe (Alleinreisender eben...) fahre ich zum Terminal und mache mich auf nach Huaraz, dem letzten Stopp meiner Reise, bevor es wieder nach Cochabamba geht.


Ich komme in Huaraz an und obwohl meine Reisegesellschaft Chiva einen hervorragenden Ruf genießt, lässt sich für die Beschreibung meines Busses kein schmeichelhafteres Wort finden als 'scheiße'. Etwas gerädert mache ich also sehr früh morgens als erstes meinen obligatorischen Besuch der Plaza de armas und stelle fest, dass Huaraz ein wirklich extrem hässliches Nest ist, wenn man einmal von der Silhouette der Cordilleras, der imposanten Bergkette, absieht, die von nahezu jedem Punkt der Stadt sichtbar ist. Und wie immer niste ich mich zunächst in einem Hostel ein. Sinn und Zweck meines Aufenthalts in Huaraz ist zwar eigentlich einzig und allein der Besuch der Laguna 69, einem Bergsee, für dessen Touren Huaraz der Ausgangspunkt ist, aber da man einen Tag im Voraus buchen muss, bin ich gezwungen, noch einen weiteren Tag in Huaraz zu verbringen, was ich zunächst nicht so toll finde, da ich mich ansonsten nur einen Tag hier aufgehalten hätte und auf meinem Rückweg nach Cochabamba lieber einen Tag mehr eingelegt hätte, um mir noch Ayacucho anzusehen. Wenig später stellt sich jedoch heraus, dass diese Zeit in Huaraz keineswegs verschwendet ist. Denn nachdem ich das nette, aber nicht weltbewegende „Museo Regional de Ancash“ besucht habe, das neben der größten Sammlung antiker Skulpturen Südamerikas auch einige Mumien und andere Artefakte beherbergt, ergibt sich für mich der wohl unerwartetste Höhepunkt meiner Reise. Denn ich fahre in die Berge, wo es eine ganz nette, kleine Ruine geben soll. Diese besichtige ich brav und gehe dann sogar noch etwas weiter hoch zu einer zweiten. Das Ganze ist zwar ganz hübsch, aber nach so vielen Ruinen, die ich mittlerweile gesehen habe, nicht mehr wirklich atemberaubend. Spannend ist jedoch mein Rückweg nach Huaraz, den ich beschließe, zu Fuß zurückzulegen, schließlich habe ich ja Zeit. Bei meiner 5-stündigen Wanderung komme ich durch extrem ländliche Dörfer, die von all denen, die ich bisher sehen konnte, markant abweichen, auch wenn es nicht möglich ist, genauer zu beschreiben, warum. Vielleicht ist es die Authentizität der Bewohner und ihres Lebensstils. Auf meinem Weg werde ich von zwei sehr alten Frauen, die gerade Holz transportieren zunächst auf Quechua zugetextet, bis sie merken, dass ich diese Sprache nicht spreche und dann auf ein Spanisch umschalten, das selbst für meine Maßstäbe sehr gebrochen klingt. Sie laden mich zu sich nach Hause zum Chuño (gefriergetrocknete Kartoffeln) essen ein. Da ich Chuño extrem eklig finde, lehne ich diese Einladung ab, bin aber von der Herzlichkeit völlig begeistert. Mein Weg führt über Alapaka-Weiden und schmale Bäche und als ich schließlich wieder in Huaraz ankomme, bin ich sehr zufrieden damit, zwei Tage Zeit in Huaraz zu haben. Ich gehe an diesem Tag sehr früh schlafen, schließlich werde ich am nächsten Morgen um fünf Uhr abgeholt um zur Laguna 69 zu wandern.

Der folgende Tag beginnt zunächst mit einer ca dreistündigen Busfahrt in Richtung des Sees, während der ich bereits einige Blicke auf die atemberaubende Landschaft der Cordilleras erhaschen kann, wozu auch schon eine andere Laguna mit türkisfarbenden Wasser gehört. Am Ausgangspunkt angekommen geht es los auf die Wanderung, die mich noch mehrere Kilometer weiter in die Berge führt und bei der ich auch noch einiges an Höhenmetern zu überwinden habe. Nach einigen Stunden, die zum Ende hin doch relativ anstrengend sind, erreiche ich schließlich das Ziel des Trips, das die Mühen des Aufstiegs aber absolut zu rechtfertigen weiß, denn die Laguna 69 gibt mit ihrem beinahe schon künstlich blauen Wasser, das von einem malerischen Wasserfall herrührt und mit ihrer Lage zwischen Schneebedeckten Berggipfeln ein extrem beeindruckendes Bild ab. Da aber ja noch eine längere Fahrt zurück nach Huaraz ansteht, bleibt oben nur eine gute Stunde Zeit, um den Blick zu genießen (bei mir fordert der Schlafmangel wegen des frühen Aufstehens seinen Tribut, wodurch ich oben einschlafe und mir ordentlich die Kopfhaut verbrenne), dann geht es an den Abstieg und die Rückfahrt in die Stadt. Dort angekommen, esse ich noch flott was, dann muss ich langsam wieder in Richtung Cochabamba, denn meine Reisezeit neigt sich dem Ende zu.


Also setze ich mich noch am selben Abend in den Bus, der mich wieder ins entsetzliche Lima zurückbringen wird. Dort halte ich mich aber gar nicht erst groß auf, sondern steige  am nächsten Tag gleich in den nächsten, diesmal nach Cuzco. Dort komme ich morgens an, da mein Anschlussbus nach La Paz aber erst am Abend geht, weiß ich nicht so recht, was ich mit dem Tag anfangen soll. Also nehme ich mit Tobi, einem Amntena, der in Cuzco im Altenheim arbeitet, Kontakt auf. Dieser muss bequemerweise an diesem Tag auch nicht arbeiten und so machen wir uns einen netten Tag in der Stadt.  Als dann abends meine nächste ewig lange Fahrt ansteht, verliere ich langsam die Lust am permanenten Rumgesitze in diversen Reisebussen. Die Fahrt wird auch durch zweimaliges Umsteigen in Puno (wo ich meine Mitfreiwilligen Jojo und Jacob treffe, die auch auf dem Rückweg sind, jedoch in andere Busse steigen als ich) und Copacabana nicht gerade schöner. Während meines unerwarteten Treffens mit Jacob in Puno und später nochmal am Grenzübergang nach Bolivien, habe ich abgesprochen, ab La Paz mit ihm zusammen nach Cochabamba zu reisen. Und da auch er die Nase vom Busgefahre voll hat, beschließen wir, uns eine weitere neunstündige Nachtfahrt zu sparen, das Gewissen bezüglich des ökologischen Fußabdrucks einmal auszuschalten und stattdessen für umgerechnet 30€  eine dreiviertel Stunde zu fliegen, um den Urlaub gebührend ausklingen zu lassen.



Als unter mir die Lichter Cochabambas auftauchen, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Hinter mir liegen fünf Wochen des Backpackings. Eine Erfahrung, die ich so noch nicht gemacht habe. Die Zeit war unglaublich interessant, aufregend und schön, aber auch sehr anstrengend.

Während ich so reflektiere, stelle ich fest, dass ich in Deutschland noch nie so lange von Zuhause weg war. Eine derartige Reise habe ich hier zum ersten Mal gemacht, kehre jetzt aber nicht einmal nach Hause zurück, sondern in meine WG bei Bella Vista. Überrascht stelle ich jedoch fest, dass dies für mich eigentlich keinen Unterschied macht. Bolivien ist zu meinem zweiten Zuhause geworden. Und als mir klar wird, dass noch ein halbes Jahr hier vor mir liegt, überkommt mich ein Gefühl der tiefen Zufriedenheit, darüber dass ich noch so viel Zeit in Bolivien verbringen darf, das ich trotz all seiner Macken unglaublich zu lieben und schätzen gelernt habe.



Rundreise Teil I - Cuzco, Urwald, Colca-Canyon, Arequipa, Küste, Ecuador

Das Taxi hält am Rande der etwas ranzigen Hauptstraße von Lurin – einem Vorort Limas – und gleichzeitig dem wohl wichtigsten Verkehrsweg von Süden her in die peruanische Hauptstadt. Nur da ich völlig fertig von der langen Anreise aus der ecuadorianischen Kolonialstadt Loja bin, habe ich mich auf die sündhaft teure, halbstündige Taxifahrt vom Terminal Limas bis hierhin eingelassen, anstatt wie üblich ein wesentlich günstigeres, aber langsameres Colectivo zu nehmen, mit dem man zusätzlich noch dreimal hätte umsteigen müssen. Nach einem ausgiebigen Frühstück – bestehend aus „Milaneza de pescado“, einer Art Fischschnitzel, schließlich befinde ich mich in Sichtweite zur Pazifikküste – mache ich mich auf den Weg zum Hostel, in dem die nächsten fünf Tage mein von „weltwärts“ vorgeschriebene Zwischenseminar stattfinden wird. Auf dem Weg dorthin kommen mir meine Mitfreiwilligen Johanna, Jacob und Dinah entgegen, die wie ich eine bereits mehrere Wochen andauernde Peru-Reise hinter sich haben. Nach kurzer Begrüßung begeben wir uns zum Hostel und werden prompt von einem Teilnehmer des vorigen Seminars eingelassen. Wir treten durch das Tor, erblicken andere Mitfreiwillige aus Chile und Peru und amtena-Chef und Seminarleiter Kurt. Nach einem kurzen aber herzlichen Empfang werden die Teilnehmer des ersten Zwischenseminars rausgeschmissen und für mich geht es los...



Gut drei Wochen früher stehe ich mitten in der Nacht in der Warteschlange vor dem Häuschen an der bolivianisch-peruanischen Grenze, bei dem es sich mehr um eine Bruchbude handelt, unweit von Copacabana, die Ausreisedokumente in der Hand. Im Inneren gibt es dann eine böse Überraschung: die Ausreise aus Bolivien kostet für Touristen zwar nichts, für Bolivianer 20bs, aber für Ausländer mit bolivianischem Visum 157bs, umgerechnet beinahe 20€. Da ich, sowie alle meine zehn Mitreisenden nicht mit einer derartigen Summe gerechnet habe und daher so gut wie möglich alle meine restlichen Bolivianos auf den Kopf gehauen habe, wird es jetzt eng, denn wie es sich für die bolivianische Bürokratie gehört, wurde natürlich nicht besonders gut nachgedacht und es befindet sich kein Bankautomat an der Grenze. Nachdem dann doch knapp alle durchgekommen sind, indem jeder sein letztes Geld zusammengekratzt hat und einige sogar noch Dollars hatten wechseln müssen, geht es wieder in den Bus Richtung Cuzco. Zuvor war ich am Abend des 22. Dezembers mit einer elfköpfigen Gruppe bestehend aus anderen Mitfreiwilligen in Cochabamba aufgebrochen und nach La Paz gefahren. Nach einem kurzen Besuch des Artesania-Marktes, der in La Paz eine unglaubliche Fülle an Angebot enthält, ging es über Copacabana in die Hauptstadt des ehemaligen Inkareiches Cuzco in Peru.


Am ganz frühen Morgen des Heiligabend hält der Bus am Terminal der Stadt, die den Hotspot den peruanischen Tourismus darstellt. Von den Strapazen der vorigen Nacht gezeichnet latschen wir einmal quer durch die Stadt bis zu unserem Hostel. Dabei werden schnell einige elementare Unterschiede von Peru und Bolivien deutlich: Es fehlen die Restaurants, in denen es das klassische „Pollo a la broaster“ gibt oder die traditionell gekleideten Cholitas, stattdessen fügen sich Fußgängerampeln und eine halbwegs geregelte Müllabfuhr in das Stadtbild ein. Für jemanden, der bereits fast ein halbes Jahr in Bolivien lebt, eine kleine Sensation.

Dort angekommen stellt sich heraus, dass es sich beim Hostel mehr um eine Art Hippiekommune handelt. Und so beschließen wir, anstatt Weihnachten unter dem Tannenbaum zu verbringen, mit den furchtbar netten Leuten aus dem Hostel, eine Wanderung am oberen Rande Cuzcos zu machen. Unser Weg führt dabei an alten Inka-Ruinen vorbei, durch schmale Felsspalten und durch kleine Bäche. Der Trip nimmt schließlich mit einem Pachamama-Ritual und einem reinigenden Bad unter einem arschkalten Wasserfall sein Ende und wir machen uns auf den Rückweg.

Nach einem kurzen Anruf nach Hause (schließlich ist in Deutschland schon „Geschenke-auspack-Zeit“ ) treffen wir uns mit unseren Mitfreiwilligen aus Cuzco in deren WG zum Essen. Es ist das erste Mal seit unserer Ausreise, dass wir andere Freiwillige aus Deutschland treffen, dementsprechend gestaltet sich das Wiedersehen. Allerdings bleiben wir nicht lange da, denn abends ist außerdem noch eine Weihnachtsfeier mit unseren Hippiefreunden aus dem Hostel angesetzt. Doch nach nur kurzer Zeit müssen wir feststellen, dass die Anreise doch anstrengender war als gedacht und die eine Stunde Zeitunterschied nun ihren Tribut gezollt bekommen will und so geht es für die meisten lautstark begleitet von Bob Marley relativ früh ins Bett.

Der erste Weihnachtsfeiertag besteht für mich daraus, mit meinem Mitfreiwilligen Max, mit dem ich auch später noch weitere Reiseziele anlaufen werde, sich die Innenstadt Cuzcos anzusehen, das ein oder andere Käffchen zu konsumieren und an einer Klosterführung teilzunehmen, die sich als unerwartet interessant herausstellt, vor allem als die noch immer praktizierte, mir völlig unnachvollziehbare Selbstgeißelung thematisiert wird und als wir uns die klosterinternen Katakomben und das zweitgrößte Gemälde weltweit ansehen dürfen.


Am nächsten Tag steht dann der erste tatsächliche Höhepunkt der Reise an: wir wandern zu den Rainbow-Mountains. Dabei handelt es sich um eine kleine Gebirgskette wenige Busstunden von Cuzco entfernt, die durch verschiedene Gesteinstypen aus roten, gelben und grünen Schichten besteht und erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde, da sie - Klimawandel sei Dank! - bis vor Kurzem noch unter einer Schneeschicht verborgen war. Nach besagter Busfahrt wandern wir also auf die 5100m hohen Berge. Dabei stellen wir selbstzufrieden fest, dass sich unsere bisherigen fünf Monate auf einer Höhe von knapp 2500m bereits ausgezahlt machen, denn im Gegensatz zu den vielen europäischen, US-amerikanischen und koreanischen Touristen, für die Cuzco oftmals den Beginn ihrer dreiwöchigen Südamerika-Rundreise darstellt und die daher weitaus weniger vertraut mit derartigen Höhen sind, handelt es sich bei dem Aufstieg für uns um keine übermäßige Hürde. Oben angekommen kommt die Ernüchterung: Es ist dermaßen nebelig, dass man vielleicht eine Sichtweite von fünf Metern hat. Der malerischen Ausblick auf die Rainbow-Mountains, den wir von Fotos kennen, bleibt uns somit zunächst verwehrt. Jedoch haben wir Glück und nach einer Weile klart es auf, sodass wir doch noch in den Genuss  dieses einzigartigen Naturphänomens kommen. Nach einer halben Stunde machen wir uns auf den saukalten Abstieg und fahren zurück nach Cuzco. Für mich und jetzt nur noch vier Reisebegleiter geht es noch am Abend des selben Tages in einen Bus, der uns nach Puerto Maldonado, einer Stadt im peruanischen  Regenwald und Ausgangspunkt für die meisten Urwaldtrips im Süden des Landes, bringen soll.


Wir haben, wie es für Lateinamerika üblich ist ganz seriös über WhatsApp, eine Lodge mitten im Regenwald vorgebucht, was wiederum äußerst unüblich für Lateinamerika ist und so werden wir am nächsten Morgen am Terminal abgeholt. Schnell wird klar, dass hier das Stadtbild nochmals markant von den uns bereits bekannten abweicht. Die Straßen sind nicht asphaltiert (das alleine noch nicht unbedingt ungewöhnlich), bestehen aber wegen der häufigen Regenfälle eigentlich nur aus Modder. Außerdem fungieren keine normalen Autos als Taxis, sondern die sogenannten Moto-Taxis, bei denen es sich um ein dreirädriges Moped handelt, mit Platz für einen Fahrer und drei schlanke Fahrgäste. Nach kurzem Stopp im Büro geht es dann auf einem sehr langen, sehr schmalen Motorboot zur Lodge. Ein anderer Verkehrsweg dorthin existiert nicht. Neben uns fünf besteht unsere Gruppe noch aus sechs australischen Backpackern, durch die wir in den folgenden Tagen unser Repertoire an englischen Kraftausdrücken erheblich zu erweitern lernen werden. Nichtsdestotrotz äußerst sympathische Persönlichkeiten.

Auf der Lodge angekommen beziehen wir unsere Hütte, die auf Pfählen errichtet ist, um Schlangen, Skorpione und anderes Getier draußen zu halten, und bequemlicherweise direkt am Pool steht. Im Preis inbegriffen ist neben den drei täglichen Mahlzeiten, bestehend zum Beispiel aus im Fluss gefangenem Fisch, in Bananenblättern gekochtem Gemüse und frischem Obst, natürlich auch ein Programm, dass uns den Dschungel näher bringt.

Und so geht es am ersten Tag zum Warmwerden mit einer Machete bewaffnet querfeldein ins Gestrüpp und unser Guide erzählt uns jede Menge über di Vegetation, die von wandernden Bäumen über meterlange Lianen, die sich andere Bäume als Parasiten einverleiben und dann später selbst zu riesigen Bäumen werden, bis hin zu Pflanzen, die durch unzählige und unfassbar lange Dornen mehr Riesenigeln gleichen, reicht. Anschließend geht es mit dem Boot auf die „Isla de monos“ - die Insel der Affen - , die sich im kilometerbreiten „Rio Madre de dios“ in Sichtweite befindet, auf der wir in der Tat einige Affen beobachten können und abends geht es dann im Dunkeln noch einmal mit dem Boot los auf Suche nach Kaimanen, wobei wir tatsächlich fündig werden und unser Guide auch nicht davor zurückschreckt, einen Babykaiman ins Boot zu holen, der danach selbstverständlich wieder freigelassen wird. Da es im Urwald keine Stromversorgung gibt und die einzige elektrische Energie durch einen Generator erzeugt wird (meine ehemaligen Physiklehrer würden mich für diese Formulierung wahrscheinlich steinigen, jedoch fällt mir partout keine andere ein), geht um Punkt neun Uhr das Licht aus und es ist zappenduster. Nur noch die lautstarken Naturgeräusche, bestehend aus dem Krach der Insekten, dem Prasseln des Regens und den gelegentlichen Schreien von Vögeln oder Affen, ist zu vernehmen.

Das Ganze hat allerdings den Vorteil, dass man durch das aufgezwungene frühe Schlafengehen kaum Probleme damit hat, am nächsten morgen um sechs Uhr aufzustehen, was auch notwendig ist, schließlich geht es ganz früh wieder mit dem Boot raus zum relativ bekannten  Tambopata-Nationalpark. Nach einem zweistündigen Fußmarsch kommen wir an den See, der das Herz des Nationalparks bildet und auf dem wir nun einige Stunden mit einem Ruderboot herumschippern. Dabei können wir unzählige verschiedene Vogelarten, Schildkröten, eine große Gruppe Totenkopfäffchen (mit Babys!) und Riesenseeotter beobachten und fangen uns obendrein noch einen amtlichen Sonnenbrand ein. Abends haben wir dann eine geführte Nachtwanderung durchs Unterholz und entdecken dabei erschreckend viele Taranteln (eine erwischen wir sogar dabei, wie sie einen Frosch fängt), eine Giftschlange und erleben die unglaubliche Vielfalt der tropischen Insektenwelt.

Unser letzter vollständiger Tag im Urwald besteht dann aus einer Kajaktour auf dem „Madre de dios“, bei dem spontan das australisch-deutsche Ruderteam gegründet wird, und einem Angelausflug, der mit keinem einzigen Fang einen doch eher enttäuschenden Erfolg innehat. Glücklicherweise müssen wir abends trotzdem nicht hungrig ins Bett gehen. Bevor es am folgenden Tag zurück in die Stadt geht, nutzen wir noch die Seilbahnen, die sich auf der Lodge durch die Baumwipfel spannen. Anschließend trennt sich die Spreu vom Weizen und ich begebe mich mit meiner nunmehr nur noch dreiköpfigen Reisegruppe, neben mir bestehend aus Max und meinem Zimmernachbarn Jakob, aufs Boot, das uns zurück nach Puerto Maldonado bringt, von wo aus wir einen Bus nach Arequipa nehmen.  


Am Silvestermorgen dort angekommen, verlassen wir das Terminal gar nicht erst, sondern setzen uns gleich in den nächsten Bus nach Chivay. Sich die Stadt Arequipa anzugucken, wollen wir zwar auf keinen Fall verpassen, jedoch muss dies warten, denn zunächst soll es an den Colca-Canyon gehen. Chivay ist für dessen Besuch der geeignetste Ausgangspunkt und so kommen wir dort an, nehmen uns ein Zimmer in einem Hostel (dabei bekommen wir 5 Soles Rabatt, da es sich im obersten Stockwerk befindet – ein herrliches Beispiel für das extrem gehfaule Verhalten der meisten Lateinamerikaner) und versuchen zunächst einmal unsere feuchte und unglaublich stinkende Kleidung aus dem Urwald zu trocknen. Mit mäßigem Erfolg.

Allerdings halten wir uns an diesen Reinlichkeiten nicht großartig auf, sondern brechen gleich auf, zu Seilbahnen, die sich durch den Canyon und über dem Rio Colca spannen. Eine schöne Parallele zum Urwald, doch anstatt wie dort maximal 20m über dem Boden zu schweben, beginnt die größte der sechs Seilbahnen direkt an der Kante des Canyons, der hier zwar erst beginnt, nichtsdestotrotz rasen wir in einer Höhe von fast 200m über den Fluss. Kopfüber. Ein beängstigender, aber zugleich auch sehr befreiender Gedanke. Was das Ganze noch etwas abenteuerlicher macht, ist die Tatsache, dass es keinen automatischen Bremsmechanismus gibt, sondern dass wir mit der Hand, für die wir vorher einen dicken Lederhandschuh bekommen haben, bremsen müssen. Und das bei teilweise extremen Geschwindigkeiten. Na ja, wenigstens  ist das ganze vorher von Trip Adviser abgesegnet worden... Während wir durch luftige Höhen sausen, werden wir von unten interessiert von Badegästen einer Therme, die durch heiße Quellen erwärmt wird, beobachtet. Und da es anfängt zu regnen, gehen wir anschließend in besagte Therme, um den Komfortfaktor hoch zu halten. Der Plan geht auf und nach etwa einer Stunde kommen wir auf einem ziemlich hohen Komfortlevel heraus und fahren zurück nach Chivay, wo wir uns erst mal ein „Bistec de alpaca“ - ein Alpaka-Steak - gönnen. Wir stellen fest, dass in Chivay nicht gerade das Leben tobt und so verlegen wir unsere Silvesterfeier in das Restaurant, genehmigen uns dafür aber zur Feier des Tages eine sündhaft teure heiße Schockolade. Noch vor Mitternacht sind wir allerdings wegen der Eiseskälte bereits in unserem Zimmer, das mittlerweile den Gestank unserer Klamotten angenommen hat, und schlafen tief und fest. Silvester einmal anders.

Eigentlich hatten wir vor, auf dem Rio Colca eine Rafting-Tour zu machen. Als wir erfahren, dass die Wassertemperatur bei gerade einmal 10°C liegt, verwerfen wir diesen Plan jedoch schleunigst. 10°C ist etwas für Weicheier, wir wollen Eisschollen im Fluss! Also fahren wir als Alternativprogramm zum „Cruz del condor“, einem Aussichtspunkt für Andenkondore. Und auch hier kommen wir mit einer Parallele zu einem bereits abgearbeiteten Punkt unserer Reiseroute in Berührung. Unser alter Feind von den Rainbow-Mountains - der Nebel - macht jede Sichtung eines Kondors zu einem unerreichbaren Traum. Nicht einmal den Ausblick in den Canyon können wir genießen. Mit Ach und Krach erkennt man die Hand vor Augen. Doch auch hier klart es plötzlich wie durch ein Wunder auf und der fantastische Blick auf den  zweittiefsten Canyon der Welt wird möglich. Kurze Zeit später lässt sich direkt vor unserer Nase auch schon der erste Kondor blicken. Majestätische Tiere mit einer Spannweite von teilweise über drei Metern. Unser Glück scheint kein Ende zu nehmen: immer wieder kommen Kondore hervor, gelegentlich ganz in unsere Nähe. Einmal kann man zeitgleich sieben Kondore auf einmal am Himmel sehen. Auf dem Rückweg dieses durch und durch erfolgreichen Ausflugs fahren wir nicht bis nach Chivay durch, sondern steigen im Nachbarort Yanque aus und wandern entlang des Flusses in einer wunderschönen Umgebung zurück bis nach Chivay, wo wir die Chance nutzen und nochmal ein „Bistec de alpaca essen, denn schließlich geht es bald ans Meer, wo es in erster Linie Fisch gibt. Nach diesem weiteren Tag müssen wir einsehen, dass der Gestank aus unserer Wäsche wohl so einfach nicht herauszubekommen sein wird. Wir geben auf, packen unsere Rucksäcke und nehmen nach einer erneut extrem kalten Nacht um fünf Uhr morgens einen Bus mit einem lebensmüden Busfahrer zurück nach Arequipa.


Der zuvor aufgeschobene Stadttourismus steht jetzt an und da es noch früher Vormittag ist und wir daher viel schaffen werden, beschließen wir, nur eine Nacht zu bleiben. Um uns zunächst einen Überblick von der Stadt zu verschaffen und uns in Ruhe eine Hostel aus dem Reiseführer zu suchen, fahren wir als erstes zur Plaza de Armas - dem Hauptplatz – und setzen uns erst einmal auf eine Bank. Nach nur kurzer Zeit, werden wir von einer unkonventionell gekleideten Frau, die einen verrückten, aber netten Eindruck macht, angequatscht und sie versucht uns ein Zimmer in ihrem Hostel anzudrehen. Sie zeigt uns Fotos, der Preis scheint uns als relative Laien in Peru in Ordnung zu sein und da wir keine große Lust haben, noch weiter herumzusuchen, gehen wir mit ihr mit. Eine schlechte Entscheidung, denn dort angekommen müssen wir wenig begeistert feststellen, dass es wohl jetzt zum ersten Mal an der Zeit ist, unsere Schlafsäcke zu nutzen, weil wir Angst haben, uns sonst diverses Ungeziefer einzufangen. Und das obwohl wir ziemlich anspruchslos sind, was die Wahl von Schlafgelegenheiten angeht. Da es aber ja nur für eine Nacht ist, bleiben wir und sparen uns die Suche nach einem weiteren Hostel.

Arequipa ist eine wunderschöne Kolonialstadt, erbaut aus weißem Vulkanstein (ähnlich wie die bolivianische Hauptstadt Sucre) und so klappern wir nicht einfach stumpf irgendwelche Sehenswürdigkeiten ab, sondern nehmen uns die Zeit, einfach ein bisschen durch die Stadt zu schlendern und ein Museum über die Verarbeitung von Alpaka-Wolle zu besuchen. Ein Muss ist allerdings dennoch die riesige Klosteranlage von Arequipa. Hier bekommen wir sogar eine deutschsprachige Führung geboten, die sehr interessant und informativ ist. Auch hier wird wieder die Selbstgeißelung angesprochen und ich beginne mich zu fragen, wie sich die Indigenen damals nur von solchen Spinnern haben missionieren lassen können... Der Gang durch das Kloster hat trotz Allem eine beruhigende Wirkung und mit neuen Denkanstößen beseelt setzen wir unsere Tour durch die Stadt fort, wobei wir uns die Kathedrale an der Plaza de Armas ansehen, bei der es sich angeblich um die größte Perus handelt, die mehrmals durch schwere Erdbeben schwer beschädigt worden ist und in deren Hintergrund der Vulkan „El Misti“ in den Himmel ragt. Nach einem „Menu economico“ - vergleichbar mit dem bolivianischen „Almuerzo completo“ - was aus einer Vorspeise, einem Hauptgang, einem Getränk und manchmal noch einem Nachtisch besteht und für das man umgerechnet gut einen Euro zahlt, geht es in unser furchtbar gemütliches Zimmer (ich lege noch mein Handtuch unter den Schlafsack, um ja nicht mit dem Bettlaken in Berührung kommen zu müssen) und wir fallen in einen unruhigen Schlaf, geplagt von Alpträumen mit Riesenkakerlaken und gigantischen Monsterkäfern.


Als wir am nächsten Morgen erwachen, realisieren wir erfreut, dass wir offensichtlich von jeglichem Getier verschont geblieben sind und brechen demnach mit frischer Zuversicht auf zum Terminal der Stadt, von wir mit einem Minibus ca. vier Stunden nach Camaná fahren, einer Stadt an der peruanischen Pazifikküste und Wochenendziel der reicheren Arequipeños. Als wir nach etwa drei Stunden zum ersten Mal seit einem halben Jahr das Meer sehen, können wir auf einmal begreifen, wieso Bolivien so unzufrieden damit ist, ihren Zugang zum Ozean an Chile verloren zu haben. Vom wirtschaftliche Nutzen einmal abgesehen, besitzt das Meer nochmal eine ganz andere Ästhetik als beispielsweise der Titicacasee, löst der Blick auf die riesige blaue Fläche noch einmal ganz andere Emotionen aus, weckt Erinnerungen.

Kurze Zeit später erreichen wir Camaná und geraten sofort ins Urlaubsfeeling, verursacht durchs Klima und die Tatsache, dass überall Leute mit Badesachen herumlaufen. Mit einem Moto-Taxi (wie die in Puerto Maldonado) fahren wir in einen Stadtteil direkt am Meer, nehmen uns ein Hostel direkt an der Promenade (für den selben Preis wie in Arequipa, allerdings überkommt einen hier kein Ekelgefühl und es gibt sogar einen Pool) und machen uns einen entspannten Tag am Strand. Das Schöne in Camaná ist, dass es schlicht nichts Sehenswertes außer dem Strand gibt und man somit gar nicht erst in Versuchung kommt, irgendetwas anderes zu unternehmen, als herumzugammeln. Nach den bisherigen doch relativ ereignisreichen eineinhalb Wochen eine willkommene Abwechslung. Und so sitzen wir die folgenden beiden Tage in unseren Strandstühlen, gehen baden, trinken beide Tage jeweils jeder drei Liter Refresco, essen haufenweise frittiertes Meeresgetier und werden immer dicker und dicker. Am Abend des zweiten herrlich ereignislosen, erholsamen Tages ist es dann allerdings genug: Kultur steht auf dem Plan. Und so steigen wir nachdem wir den Sand in einer öffentlichen Dusche abgewaschen haben in einen Nachtbus nach Nazca, wo wir uns die weltberühmten Nazca-Linien ansehen werden.


Der 5. Januar beginnt mitten in der Nacht. Der Bus ist schneller durchgekommen als geplant, weshalb wir um vier Uhr morgens in der Stadt Nazca rausgeschmissen werden. Sobald wir unser Gepäck haben, werden wir von einem Typen angesprochen, der uns einen der beliebten Rundflüge über die Geoglyphen verschacheln will. Zur Buchung sollen wir in sein Hostel mitkommen. Und obwohl man ja nicht irgendwelche Angebote von dahergelaufenen Heinis am Straßenrand annehmen soll, vor allem wenn es um einen Flug geht, bei dem der Sicherheitsaspekt ja nicht ganz im Hintergrund stehen sollte, gehen wir mit ihm mit, schließlich hat sonst noch nichts auf. Im Hostel angekommen erzählt er uns von seinem touristischen Angebot und schnell wird klar, dass wir (das heißt Max und ich, Jakob möchte sich den Flug nicht leisten) es jedoch nicht annehmen wollen, da uns der Preis zu hoch vorkommt und wir dem Typen auch nicht wirklich vertrauen. Bis wir ihn abwimmeln können ist es bereits sechs Uhr, es wird hell und so langsam fahren auch einige Autos. Also fassen wir den Entschluss, mit einem Taxi auf eigene Faust zum Flughafen zu fahren, der nach der Erforscherin der Linien - Maria Reiche Neuman - benannt ist, und direkt bei den Fluggesellschaften zu fragen. Als die Schalter dann um acht öffnen, werden wir auch prompt fündig und ich investiere mein Weihnachtsgeld von Oma und Opa in den Rundflug, der hier tatsächlich wesentlich preiswerter ist als bei dem Kerl von vorher. Nach kurzem Sichherheitscheck geht es dann in die Propellermaschine, die neben den beiden Piloten noch Platz für vier weitere Fluggäste bietet und wir heben ab. Zunächst sieht man nur die Wüste und die trostlose Stadt Nazca, nach wenigen Minuten jedoch erblicken wir die erste Geoglyphe: den Wal. Während des etwa halbstündigen Flugs bekommen wir noch viele weitere, hunderte Meter große Figuren zu Gesicht wie etwa den Affen, die Spinne, den Kolibri oder die riesige Eidechse, deren Schwanz von der Panamericana durchschnitten wird. Dass wir in den Genuss kommen, die Figuren als einige der Letzten in diesem Zustand zu sehen, da wenige Tage später ein Lkw-Fahrer drei der Figuren schwer beschädigen wird, wissen wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Als wir wieder landen, sind wir schwer beeindruckt von dieser einzigartigen Hinterlassenschaft der Nazca-Kultur, sind die Geoglyphen doch lediglich aus einem Flugzeug zu erkennen und wir fragen uns wie schon Millionen Leute vor uns, wie es die Nazca damals geschafft haben, diese Linien anzufertigen. Wieder am Flughafen geht es mit einem Taxi weiter zur Plaza de armas, wo wir uns mit Jakob treffen wollen, erfahren jedoch das dieser bereits weiter nach Ica, dem nächsten Ziel unserer Reise, ist. Also fahren wir ihm hinterher, schließlich hat Nazca außer den Linien und der extrem hässlichen Innenstadt sowieso nicht sonderlich viel zu bieten.


Ica zeigt sich bei unserer Ankunft nicht gerade von seiner schönsten Seite (sofern diese vorhanden sein mag). Es ist entsetzlich heiß und voll. Da wir schon, seit wir die Grenze von Bolivien nach Peru übertreten haben, kein mobiles Internet mehr haben, setzen wir uns in ein Cafe mit Internetzugang, um mit Jakob Kontakt aufzunehmen. Als dieser jedoch zwei Stunden lang nicht antwortet, wird uns das Ganze zu blöd und wir fahren per Taxi nach Huacachina, einem winzigen, fast nur aus Hostels und Restaurants bestehendem Ort, der sich um eine kleine Oase inmitten der riesigen Sandwüste gebildet hat. Hier wollen wir auf Jakob warten, denn es war sowieso nie der Plan, sich in Ica selbst groß aufzuhalten.

Also nehmen wir in Huacachina angekommen eines der zahlreichen Hostels, schreiben zum x-ten Mal eine Nachricht und gehen auf eine der großen Dühnen, von denen die Oase umgeben ist, um von dort oben den Sonnenuntergang genießen zu können. Wir sitzen da oben vielleicht eine halbe Stunde, die Sonne ist noch nicht untergegangen, da werden wir von Jakob überrascht, der erst jetzt kommt, da er in Ica (in dem selben Cafe,  von dem aus auch Max und ich ihm geschrieben hatten) um seinen Rucksack beklaut worden ist und den Nachmittag auf der Polizeiwache verbracht hat (völlig sinnlos, da die lateinamerikanische Polizeiarbeit genauso ineffizient ist, wie die in den Behörden, wenn es nicht gerade darum geht in Uniform und mit Maschinenpistole einen bedrohlichen Eindruck zu machen). Bis auf die Musikbox war glücklicherweise aber sowieso  nichts besonders wichtiges im Rucksack und als die Sonne dann endlich untergeht, ist der Ärger darüber vollends verschwunden, bietet sich uns nun doch ein atemberaubendes Bild über die in orangenes Licht getauchte Wüste. Der zuvor ziemlich beschwerliche Aufstieg (mit jedem Schritt rutscht man in dem feinpulvrigen Sand wieder ein Stück runter) wird beim Abstieg wieder zur Gänze ausgeglichen, da es uns eine kindliche Freude bereitet, die Düne herunter Purzelbäume zu schlagen oder Riesensätze zu machen.

Am nächsten Morgen werden wir von einem Wüstenbuggy abgeholt, den wir am Vortag gebucht haben. Nachdem wir eine kleine Nationalparkgebühr gezahlt haben, dürfen wir jetzt mit dem Buggy durch die Wüste heizen. Nicht nur dem aufmerksamen Leser erschließt sich der Sinn des Nationalpark dabei nicht ganz... Die Fahrt ist aber sehr unterhaltsam und immer wieder unterbrochen von Zwischenstopps, bei denen  Sandboards ausgepackt werden, auf denen wir dann bäuchlings und mit Affenzahn die Dünen runterrutschen. Und wieder einmal werden wir vom Rationalismus erfasst und es geht nach einem kurzen Spaziergang um die Oase herum direkt weiter nach Paracas, dem letzten Stopp unserer Reise vor Lima, allerdings erneut ohne das Gefühl trotz unseres hohen Reisetempos irgendetwas verpasst zu haben.


Die Fahrt nach Paracas gestaltet sich sehr komfortabel, haben wir uns doch eine Fahrt mit der Bonzen-Busgesellschaft „Cruz del sur“ gegönnt, bei der es neben individuellem Fernsehprogramm sogar etwas zu Essen und Refrescos gibt. Als wir dann nachmittags am Terminal der ziemlich kleinen Stadt ankommen, sind wir wenig begeistert. Paracas ist zwar an sich ein hübscher, wenn auch touristenverseuchter Ort, aber der Strand ist extrem schmal und ziemlich dreckig und zu allem Überfluss liegt ein unüberriechbarer Geruch von ranzigem Fisch in der Luft. Trotz des eher ernüchternden Ortes wollen wir auf jeden Fall bleiben, um eine Fahrt zu den „Islas Ballestas“ zu machen, die auch als „Galapagosinseln für Arme“ bekannt sind. Also reservieren wir uns einen Platz auf einem Boot für den nächsten Tag, essen etwas zu Abend (passenderweise Fisch) und suchen uns ein Hostel. Am nächsten Tag machen sich Jakob und ich (Max ist über Nacht krank geworden) auf in den Hafen und treten die Überfahrt an. Völlig untypisch werden wir dazu genötigt, Schwimmwesten anzulegen. Auf dem Weg zu den eigentlichen Islas verbleiben wir noch kurz an einer Insel, auf der eine riesige Geoglyphe, ähnlich denen von Nazca, zu sehen ist, dann geht es zum eigentlichen Ziel unserer Tour. Die nächsten zwei Stunden schippern wir zwischen den „Islas Ballestas“ hindurch und kriegen dabei unzählige Seevögel wie Pelikane und Kormorane, Seebären und auch einen einzelnen Humboltpinguin zu Gesicht. Auf dem Rückweg meine ich, auch zwei Delfine springen zu sehen. Allerdings gegen die Sonne, also wer weiß, ob es nicht nur ein Trug ist... Zurück im Hostel müssen wir feststellen, dass es Max noch immer nicht besser geht und auch Jakob macht langsam schlapp. Da die beiden sich in Paracas nicht besonders wohl fühlen, beschließen sie, noch ein Stück weiter nördlich in den Strandort Cerro Azul zu fahren. Da ich mit dem Ort aber besser anfreunden kann und sowieso in zwei Tagen in Lima sein muss, um von dort alleine nach Ecuador zu fahren, und das von Paracas einfacher geht, bleibe ich noch eineinhalb Tage alleine da und mache mir einen Lenz am Strand, der sich, wenn man mit einem Buch und einem Refresco darauf befindet, doch als recht schön herausstellt. Später erfahre ich, dass Max und Jakob ihre Zeit in Cerro Azul auch nicht richtig genossen haben, ging es den beiden dort wegen einer Typhusinfektion doch unglaublich scheiße.

Nachdem ich also noch ein bisschen in Paracas entspannt habe und jeden Menge Fisch gegessen habe, fahre ich von Paracas in die peruanische Hauptstadt Lima.


Lima ist schrecklich. Schrecklich groß. Schrecklich laut. Schrecklich dreckig. Nichts hält mich in dieser Metropole, die mit ca. 10 Millionen (offiziellen) Einwohnern die drittgrößte Stadt Südamerikas ist (nach Sao Paulo und Bogota), also nehme ich direkt einen Bus, der mich auf einer 16-stündigen Fahrt nach Piura, der letzten größeren Stadt vor der ecuadorianischen Grenze, bringt. Hier muss ich dann einen ganzen Tag rumkriegen und da die einzige Sehenswürdigkeit, die es gibt, geschlossen hat, gehe ich ins Kino und gucke mir irgendeinen Kinderfilm mit tanzenden Stieren an, um meinen Spanischkenntnissen etwas Gutes zu tun. Als es dann endlich abends ist, nehme ich erneut einen Bus, diesmal nach Loja, einer Kolonialstadt im Süden Ecuadors, wo ich mich mit Pia, einer Schulfreundin, treffe, die in Ecuador einen Freiwilligendienst leistet.


Als ich am nächsten Morgen in Loja ankomme, ist es erneut viel zu früh. Obwohl ich mitten in der Nacht die Grenzformalitäten über mich ergehen lassen musste und das Ganze wieder mindestens zwei Stunden gedauert hat (allerdings ist Peru nicht so dreist wie Bolivien und fordert keine Ausreisegebühr) komme ich um fünf Uhr morgens am Terminal an. Die Zeit, die ich noch totschlagen muss bis die ersten Frühstücksläden öffnen, beschließe ich auf der Plaza de armas zu verbringen. Da es ein ganzes Stück bis dahin ist, nehme ich ein Taxi, da ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln hier natürlich nicht vertraut bin (innerhalb Lateinamerikas variieren die Transportwege von Land zu Land) und bin höchst erfreut, als ich höre, dass der Taxifahrer nur „zwei“ möchte. In meinem übermüdeten Gehirn bin ich noch in der peruanischen Währung Soles drin und bemerke zu spät, dass man in Ecuador mit US-Dollar bezahlt. Also muss ich am Ziel meiner Fahrt erst einmal einen Bankautomaten finden. Ein schwieriges Unterfangen, da erst der dritte Automat meine Karte annimmt...

Nach einer langweiligen, kalten Zeit auf der Plaza und einem Frühstück treffe ich mich dann mit Pia. Es ist ein merkwürdiges Gefühl nach so langer Zeit mal wieder jemanden von „zu Hause“ zu sehen, aber die Freude über das Wiedersehen ist dadurch keinenfalls geringer. Ein zweites Frühstück und einen Spaziergang durch die sehr schöne Stadt voller Parks und im Kolonialstil errichteter Gebäude später, bei dem wir eine hübsche Brücke über einem Fluss entdecken und dort lange Zeit einfach nur quatschen, nehmen wir an einer von Geschichtsstudenten geleiteten Führung teil (außer uns hatte anscheinend niemand Interesse), bei der wir jede Menge über die Stadt und deren Historie erfahren, aber erhalten auch einen Blick in gewisse Szeneviertel der Stadt, trinken ecuadorianischen Kaffee, gucken uns abstrakte Kunst an und ich werde stolzer Besitzer eines Albums einer Reggae-Band von den zu Ecuador gehörigen Galapagosinseln und einer CD des größten Metal-Exports des Landes. Abends findet der „Jueves cultural“ statt mit Livemusik und landestypischen Tänzen, der sogar ins Fernsehen übertragen wird.

Am nächsten Tag geht es mit dem Bus ins etwas nördlichere Saraguro. Der Ort weist angeblich in ganz Südamerika den größten Anteil indigener Bevölkerung auf. Interessant ist, dass es in Ecuador üblich ist, auch als Mann lange Haare zu tragen, wenn man sich zu seinen indigenen Wurzeln bekennt, ein Brauch den ich aus Bolivien oder Peru nicht kenne. Und tatsächlich sieht man bemerkenswert viele langhaarige Kinder, Jugendliche, Erwachsene oder alte Männer. Im Ort scheint an diesem Tag viel los zu sein: wir bekommen eine kleine Entrada, eine Beerdigung und schließlich eine Hochzeit mit, in der wir auf einmal mittendrin sind. Bevor es ins Bett geht, setzen wir uns zurück in Loja noch eine Weile auf die (mittlerweile beleuchtete) Brücke und erzählen uns von unseren Auslandserfahrungen, amüsieren uns über ehemalige Mitschüler, die jetzt beispielsweise beim Bund strammstehen müssen und schwelgen in Erinnerungen an die Schulzeit, die auf einmal unheimlich weit entfernt zu sein scheint.

Mein letzter richtiger Urlaubstag vor meinem Zwischenseminar steht an. Und wir beschließen, ihn in Vilcabamba, einer Kleinstadt südlich von Loja zu verbringen. Der Ort ist bekannt für seine sehr saubere Luft, das saubere Wasser und die entsprechend überdurchschnittliche Lebenserwartung der Bewohner. Auf der Suche nach Heilquellen, in denen man laut Reiseführer gut baden können soll, fragen wir eine Gruppe wirklich ziemlich alter Männer und werden prompt mitten in den Bergregenwald geschickt. Nach einiger Zeit wird klar, dass wir uns auf völlig falschem Weg befinden, genießen unseren Auslflug durchs Unterholz (einen Weg gibt es nicht) entlang eines schwachen Rinnsals über Zäune und Felsen, vorbei an bissigen Hunden und durch dornenbesetztes Urwaldgestrüpp aber dennoch. Das Abenteuer endet schließlich, als wir uns mitten im Grün hinsetzen und eine Sternfrucht essen, die völlig neu für mich ist. Sowieso hat mich die Marktauslage in Bezug auf Obst und Gemüse überrascht, gibt es hier doch noch viel mehr exotische Lebensmittel, die ich aus Bolivien einfach nicht kenne. Nachdem wir in Vilcabamba noch Kaffee und Kakao für zu Hause eingekauft haben, geht es zurück nach Loja, wo wir noch ein wenig auf unserer Brücke sitzen und schließlich in verschiedene Busse steigen: Pia zurück nach Santo Domingo, wo sie wohnt und arbeitet, ich zurück nach Piura. Und nach einem erneut völlig sinnlosen Ganztages-Zwischenstopp in Piura  fahre ich erneut eine Ewigkeit nach Lima, wo ich mein Zwischenseminar habe.


Das Taxi hält am Rande der etwas ranzigen Hauptstraße von Lurin – einem Vorort Limas – und gleichzeitig dem wohl wichtigsten Verkehrsweg von Süden her in die peruanische Hauptstadt. Nur da ich völlig fertig von der langen Anreise bin, habe ich mich auf die sündhaft teure, halbstündige Taxifahrt vom Terminal Limas bis hierhin eingelassen, anstatt wie üblich ein wesentlich günstigeres, aber langsameres Colevtivo zu nehmen, mit dem man zusätzlich noch dreimal hätte umsteigen müssen. Ich begebe mich zum Hostel und werde prompt von einem Teilnehmer des vorigen Seminars eingelassen. Ich trete durch das Tor, erblicke andere Mitfreiwillige aus Chile und Peru und amtena-Chef und Seminarleiter Kurt. Nach einem kurzen aber herzlichen Empfang werden die Teilnehmer des ersten Zwischenseminars rausgeschmissen und für mich geht es los...




19.2. 2018: Hausbesuche, Badeurlaub, Entradas

Hola mis amigos de alemania!



Anstatt mich wie bei allen hier bereits veröffentlichten Berichten zu Beginn damit aufzuhalten, erst einmal als eine Art schlechte Einleitung davon zu schwafeln, wie viel Zeit mal wieder vergangen ist und was alles für tolle Sachen passiert sind, soll diesmal direkt auf den Punkt gekommen werden. Also bitte: Vorhang auf für Berichterstattung Nummer vier aus Bolivien!


Meine treue Leserschaft wird sich daran erinnern, dass ich sie letztes Mal doch etwas jäh abgewürgt habe. Somit befinden wir uns auf dem Stand von Ende Oktober nach einer kräftezehrenden Nacht auf einem Berg. An dieser Stelle also nun der lückenlose Übergang...

Nach einer sehr kurzen Arbeitswoche von genau zweieinhalb Tagen ergab sich für mich mal wieder die Möglichkeit, einen etwas tiefgreifenderen Einblick in die bolivianische Kultur  zu erhaschen. Zwar war der erste November kein Feiertag, jedoch wurde mir der Nachmittag anlässlich Allerheiligen freigestellt, um an einer sehr interessanten Tradition teilhaben zu können. So machte ich mich zusammen mit dem Kindergarten des benachbarten Dorfes Chocaya, wo meine Mitbewohnerin Cilli arbeitet, auf zu einem Rundgang durch Bella Vista. In Bolivien ist es üblich an Allerheiligen den verstorbenen Familienmitgliedern zu gedenken, indem man bei sich zu Hause kunstvoll dekorierte Altäre errichtet und auf diesen Lebensmittel (vorzugsweise die Lieblingsessen der Verstorbenen) poniert, die dann von Besuchern bewundert werden. Besagte Besucher erhalten dann im Anschluss, nachdem sie ein Vater Unser und ein Ave Marie gebetet haben, um den Toten ihren Respekt zu erweisen, Tüten mit Unmengen an süßem Gebäck und dazu meistens noch Chicha (ein von den Familien selbstgemachtes, alkoholhaltiges Getränk) oder einen Refresco (so wird grundsätzlich alles Trinkbare bezeichnet, bei dem es sich nicht um Wasser, Milch, Tee oder Kaffee handelt (besonders beliebt ist dabei Cola) und von den Bolivianern mit ihren feinschmeckerischen Fähigkeiten großzügig mit Unmengen von Zucker verfeinert wird). Nach nur etwa einer Stunde war ich zum Platzen voll, hatte aber aus Höflichkeit immer noch mehr Essen mitnehmen müssen, wodurch ich einen ganz hervorragenden Vorrat hatte ansammeln können, der dann später als Reiseproviant diente.

Denn da es sich beim darauffolgenden Donnerstag um einen Feiertag handelte, nutze ich mit meinen drei Mitfreiwilligen Jakob, Jacob und Alvar das lange Wochenende für einen Trip zum Titicacasee.

Besagter Trip begann dann noch am selben Abend mit einer Nachtfahrt (das Auswärtige Amt warnt stets explizit vor Busfahrten über Nacht, aber was wissen die schon...) vom Terminal (Busbahnhof) in Cochabamba nach La Paz. Das Schöne in Südamerika ist, dass man schon für wenig Geld ziemlich komfortable Busfahrten machen kann. Nachdem wir am nächsten Morgen dann doch etwas verklatscht angekommen waren, nahmen wir sofort einen weiteren (diesmal weitaus weniger luxoriösen) Bus über das Altiplano (die boliviaische Hochebene) nach Copacabana, den Hotspot des bolivianischen Titicacasee-Tourismus. Im Gegensatz zu vielen anderen Dingen hier, bei denen es sich um billige Fälschungen handelt, ist die bolivianische Stadt Copacabana tatsächlich das Original und der Namensursprung für den berühmten Strand in Brasilien.

Nach unserer Ankunft suchten wir uns zunächst ein billiges Hostel und machten uns dann auf, die Stadt ein wenig auszukundschaften. Nachdem wir im doch sehr touristischen Zentrum einigen Produkten des Artesania-Marktes (Stände hauptsächlich mit Touri-Kleidung) nicht hatten widerstehen können und mit der berühmten Inca-Kola in Berührung gekommen waren, die es aufgrund der Nähe zur peruanischen Grenze zu kaufen gab, besuchten wir einen Friedhof. Anlässlich Allerheiligen fand dort eine mittelschwere Fiesta mit Livemusik und reichlich Alkohol auf den Gräbern statt, um den Toten zu gedenken. Copacabana ist zu beiden Seiten von Bergen umgeben und so „bestiegen“ wir anschließend einen davon und wurden oben prompt mit einem wunderschönen Ausblick auf die Stadt, den Hafen und die riesige blaue Fläche vor uns, die durch ihre schiere Größe (der Titicacasee ist weltweit der größte See  auf einer derartigen Höhe (ca. 3800m)) mehr einem Meer als einem See glich, belohnt. Ebendiese Höhe sorgte abends dann dafür, dass die Temperatur nach Sonnenuntergang sofort unglaublich schnell sank, sodass wir wegen der Kälte, nachdem wir noch den Sonnenuntergang auf einem Steg im Hafen beobachtet hatten, relativ zügig das Hostel aufsuchten.

Am nächsten Morgen ging es für uns mit einem Boot auf die Isla del sol, die wohl das Highlight eines jeden Titicacasee-Urlaubs darstellt. Mit etwas Glück schafften wir es zusätzlich, uns kostenlos noch auf die etwas weniger bekannte Isla de la luna zu mogeln, wo wir uns eine Inka-Ruine ansahen und ich zufällig auf zwei Schülerinnen aus der Landwirtschaftsschule traf. Auf der Isla del sol angekommen mussten wir feststellen, dass der gesamte Norden der Insel, wo sich die wichtigeren touristischen Anlaufziele befinden, durch eine Bürgermiliz gesperrt war. Da wir allerdings zwei Nächte auf der Isla del sol eingeplant hatten, gestaltete sich unser Aufenthalt dort als äußerst entspannt. So nutzten wir unsere Zeit für ausgiebige Erkundungstouren über den südlichen Teil der Insel,, besichtigten eine weitere Ruine, aßen jede Menge Truchas (Forellen) und sahen uns zwei weitere Male die Sonnenuntergänge vom höchsten Punkt der Insel an. Höhepunkt der ganzen Aktion stellte jedoch das morgendliche, wenige Sekunden dauernde (die Wassertemperatur liegt bei etwas über 10°C) Baden im See dar. Dass von derartigen Manövern zwar aufgrund der starken Kontamination des Sees abgeraten wird, sollte uns dabei nicht weiter stören und bis auf den für Lateinamerika obligatorischen Durchfall merkten wir auch nichts weiter... Nach zwei durch und durch erholsamen Tagen nahmen wir dann am Morgen des Sonntags wieder ein Boot zurück nach Copacabana, aßen eine allerletzte Trucha und kehrten nach nach La Paz zurück. Dort verbrachten wir den Nachmittag auf dem Hexenmarkt und fuhren dann über Nacht zurück nach Cochabamba. Etwas gerädert ging es dann vom Bus direkt zur Arbeit.

Mit einkehrender Regenzeit kam es – offensichtlicher Weise – immer öfter zu heftigen Regenfällen, sodass sich mein Tätigkeitsbereich auf Aufgaben erweiterte, die im Trockenen erledigt werden können. So befasste ich mich beispielsweise mit der Herstellung von Schweinefutter, leerte jede Menge Bienenwaben, besserte kaputte Werkzeuge aus und verarbeitete die Samen der „Tada“, aus denen eine Art pflanzliche Gelatine hergestellt werden kann, in mehreren Schritten.

Eine Woche nach unserem Urlaub am Titicacasee wurden alle Bella Vista-Freiwilligen zur Taufe des Sohnes einer Köchin des Kindergartens eingeladen. Nach dem kirchlichen Gottesdienst ging es zur Fiesta in Bella Vista. In Bolivien ist es üblich, dem getauften Kind einzelne Haarsträhnen abzuschneiden und diese dann an die Gäste zu verteilen, die dafür dann je nach Verhältnis zum Täufling verschieden große Geldgeschenke geben. Vielen Kindern werden extra bis zur Taufe die Haare nicht geschnitten. Noch bevor ich nach der typisch bolivianischen Fiesta mit Reggaeton-Musik zuhause war, hatte ich meine Haarsträhne allerdings bereits verloren...

Da am 9.12. unsere erste Entrada, bei der wir tanzten, anstand und am 30.11. der sogenannte „Convite“, eine Art „Warme-werde-Entrada“, die ohne Tracht getanzt wird und deutlich kürzer ist, stattfand, und wir noch vieles zu lernen hatten, entwickelte sich der November zu einem unglaublich anstrengenden Monat. Nachdem wir dann den Convite mehr oder weniger gut durchgetanzt hatten, hatte sich herauskristallisiert, dass all diese Mühen sich mehr als gelohnt hatten. Das Gefühl durch die Straßen der Innenstadt zu tanzen, dabei von einer Menschenmenge zugejubelt zu bekommen und alle Paar Minuten um Fotos mit Zuschauern gebeten wird (wohl mehr dadurch verschuldet, dass wir weiß sind, als durch unsere Tanzkünste) lässt sich nur schwer beschreiben, ist aber unglaublich schön und motivierend. Die eigentliche Entrada am 9.12., die von der Universität organisiert wurde, war dann nochmal eine Steigerung dessen. Diesmal auch mit der kompletten Tracht im Look eines Cowboys tanzten wir mehrere Stunden durch die proppevolle Innenstadt Cochabambas und hatten abends Schmerzen in den Füßen, die wohl nur mit einem kräftigen Männerschnupfen verglichen werden können. Tags darauf fand dann in Quillacollo noch eine kleinere Entrada statt, die wir uns als motivierte Anfänger natürlich nicht durch die Lappen gehen ließen.

All das Tanzen ließ den Dezember rasend schnell vorübergehen, stand doch am 22.12. meine große Reise nach Peru an, doch dies ist eine andere Geschichte, an deren Verschriftlichung ich bereits arbeitete...


Bis dahin, muchos saludos de Bolivia


euer Lars



30.12. 2017: Stadionschlägereien, Verfolgungsjagden, Outdoor-Abenteuer und ein Blick in die Zukunft

Hola mis amigos de alemania!

 

 

Eine ganze Weile ist es her, dass ich hier mal wieder etwas zum Besten gegeben habe. Höchste Zeit also, euch ein kleines Update meiner Erlebnisse in Bolivien zur Verfügung zu stellen!

 

Ich stelle zu Beginn fest, dass es, je mehr Zeit ich mir zwischen meinen Blogberichten lasse, immer schwieriger wird, sich einzelne Ereignisse vor Augen zu halten und bestimmte Dinge Revue passieren zu lassen. War es anfangs noch so, dass ich völlig perplex war und alles neu und aufregend fand und sich diese Eindrücke somit längerfristig in mein Gedächtnis gebrannt haben oder auf Fotos festgehalten wurden, so ist all dieses im Laufe der Zeit zu Alltag und Normalität geworden. Dementsprechend schwer fällt es mir, mich zu erinnern. Hinzu kommt, dass ich auf die wenigen entstandenen Fotos oder versendeten Nachrichten nur eingeschränkt zugreifen kann, wurde mir doch kurze Zeit nach dem Hochladen des letzten Berichts mein Handy von einem fahrenden Motorrad aus inmitten der Bonzengegend Cochabambas entwendet. Die Versuche meinerseits lauthals pöbelnd, schimpfend und motzend dem Motorrad hinterher zu sprinten und somit die ursprünglichen Besitzverhältnisse wiederherzustellen wurden dabei leider nur mit verschwindend geringem Erfolg belohnt.

Trotz dieses mehr oder weniger starken Schicksalsschlags (befand sich doch meine gesamte Musikbibliothek – einschließlich des neuen Albums von Slime – auf diesem Handy) konnte der Tag letztendlich dennoch als Erfolg verbucht werden, schließlich besuchten wir nachmittags das höchst unterhaltsame Spiel des Fußballvereins Cochabambas (Wilstermann) gegen die Mannschaft aus Sucre (oder Oruru; darüber herrschte Uneinigkeit im Stadion). War das Spiel an sich eher weniger spannend (Fußballkenner sagten mir später, das Spiel sei auf Kreisliganiveau gewesen, und das obwohl es sich um die erste bolivianische Liga handelte), so konnte es doch durch einen Massentumult auf dem Spielfeld, bei dem der Schiedsrichter von einigen UTOPs (dem Schlägertrupp der Polizei) eskortiert werden musste, um nicht von den Spielern der gegnerischen Mannschaft verprügelt zu werden, da diese mit dem Spielstand zur Halbzeit und auch dem Endergebnis wohl nicht hundertprozentig zufrieden waren, sowie Konflikten zwischen Fans von Wilstermann, die für ein neues Stadion demonstrierten, und der Polizei, aufgewertet werden. Begleitet wurden die Ausschreitungen die ganze Zeit durch eine offensichtlich in Ekstase verfallene Blaskapelle, um zusätzlich noch etwas anzuheizen.

Das darauffolgende Wochenende verbrachte ich mit einigen anderen Freiwilligen auf einem Berg oberhalb Tiranis, einem Dorf in dem ebenfalls Freiwillige der Fundacíon Cristo Vive arbeiten. Ein Abenteuer anstrebend hatten wir zuvor beschlossen, eine Nacht dort oben zu verbringen. So machten wir uns Sonnabendvormittag mit Unmengen der verschiedensten Lebensmittel auf den Weg und fanden auf knapp 3500m Höhe eine Ebene Lichtung, die uns als potenzieller Schlafplatz geeignet erschien. Nach ausgiebigem Fressgelage (unter anderem hatten wir uns damit abgemüht einen riesigen Haufen an Ananas, Melone, Avocados, Brötchen, Würstchen, Zucchinis und gekochten Eiern auf den Berg zu schleppen) begannen wir uns voller Enthusiasmus einen Holzvorrat für ein späteres Lagerfeuer aus dem umliegenden Wald zu beschaffen. Nachdem die Sonne, die uns den ganzen Tag mit ihrer unglaublichen Intensität schon etwas auf den Wecker gefallen war, endlich begonnen hatte unterzugehen, versuchten wir ein Feuer in Gange zu bringen, um uns in guter alter Urmensch-Manier mal wieder etwas zu essen zuzubereiten. Kaum hatte sich die Sonne jedoch verzogen, begann sich die Wetterlage deutlich zu verschlechtern, sodass wir wegen des starken Windes beschlossen, dass es sich aufgrund des Funkenflugs wohl doch um ein zu hohes Risiko handelte. Zu allem Überfluss begann sich der Himmel über uns auch noch von allen Seiten mit Gewitterwolken zuzuziehen. Panik breitete sich kurz aus, als wir am Bergkamm oberhalb von uns eine riesige, tief hängende  Wolkenkonstellation, die zusätzlich durch die untergehende Sonne so ungünstig beschienen wurde, dass wir sie für einen sich ausbreitenden Waldbrand hielten, entdeckten. Durch Jakobs unglaublichen Scharfsinn, konnte dieser vermeindliche Waldbrand jedoch als das enttarnt werden, was es wirklich war. Nachdem wir uns - mit der Gesamtsituation eher unzufrieden - in unseren Schlafsäcken hingelegt hatten, fing es dann zusätzlich zu den starken Windböen an zu regnen. Da wir klugerweise keine Zelte zur Verfügung hatten – schließlich hatten wir ja ca. 50kg Essen mitnehmen müssen – fanden wir in einer völlig verfallenen Hütte einen mehr der weniger behaglichen Unterschlupf. Da diese jedoch kein Dach mehr hatte, war der schützende Effekt vor dem Regen auch eher bescheiden. So verbrachten wir einige bitterkalte und regennasse Stunden zusammengekauert zwischen drei löchrigen Steinwänden, bis wir mitten in der Nacht, nachdem sich die Wolken verzogen hatten, mit einem wunderschönen Sternenhimmel belohnt wurden. Als wir dann am nächsten Tag aufwachten, war das Wetter so gut wie eh und je und endlich konnten wir unser Lagerfeuer anmachen, auf dem wir dann Stockbrot und Unmengen von Marshmallows frühstückten. Einige Zeit später begannen wir dann völlig fertig und ranziger  als nach drei Tagen Wacken Open Air, aber durchaus zufrieden mit uns selbst und der Welt, den Abstieg.

 

Obwohl mittlerweile das Jahr 2017 so gut wie zu Ende ist, entspricht das, was im Oberen Teil beschreiben wurde, nicht dem neuesten Stand, sondern endet Anfang November. Da ich mich wenig später allerdings mit drei Mitfreiwilligen am Titicaca-See befand und auch momentan in der peruanischen Urwald-Stadt Puerto Maldonado bin und auf meinen Bus nach Arequipa warte, befand ich es aus gliederungstechnischen Gründen für sinnvoller einen Cut zu ziehen und meine Anhängerschaft in Deutschland somit noch eine Weile hinzuhalten. Ende Januar folgt sowieso erstmal der zweite offizielle Quartalsbericht, der dann auch wieder hier veröffentlicht wird.

 

Bis dahin, einen Guten Rutsch und muchos saludos de Bolivia/ Perú

 

Euer Lars


30.10.2017: 1. Quartalbericht

Hola a todos!

 

Das erste Quartal meines Jahres in Bolivien ist nun vorbei und für uns "weltwärts"-Freiwilligen bedeutet das auch, dass der erste Quartalsbericht fällig ist. Von diesen schreiben wir, wie der Name schon sagt, vier Stück und berichten darin auf ein, zwei Seiten über unser Leben im Einsatzland, die Arbeit und was wir sonst noch so für wichtig erachten. Die Berichte schickt Amntena für uns ans BMZ, denn logischerweise wollen die auch wissen, wie es uns Freiwilligen so geht, wie uns die Arbeit gefällt und was sich verändert hat bzw. was wir verändern wollen. Schließlich finanzieren sie unseren Freiwilligendienst ja zum Großteil.

Also, hier ist nun der offizielle Bericht von meinen ersten 3 Monaten in Bolivien.

 

Saludos, euer Lars

Download
1. Quartalsbericht
schacht-lars-michael-qb1.pdf
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15. 10. 2017: Arbeit, Fiestas, Urwald, Fiestas, Tanzen und noch mehr Fiestas

Hallo liebe Leute,

 

 

das Warten hat ein Ende, es geht nach über einem weiteren Monat in die zweite Runde!

 

Seitdem ich den letzten Bericht Ende Augusts hochgeladen habe, ist hier Einiges passiert. Da ich bis dahin noch nicht viel Alltag erleben konnte, waren die Möglichkeiten darüber zu schreiben auch eher begrenzt. Hinsichtlich dessen hat sich nun Vieles geändert. Zwar habe ich noch immer keine einzige Woche fünf Tage lang durchgehend gearbeitet, aber immerhin hat sich so etwas wie eine Routine eingestellt. Der Grund dafür, dass ich noch nicht eine einzige komplette Arbeitswoche – nach mittlerweile fast drei Monaten - hatte, liegt in der unglaublich komplizierten Bürokratie Boliviens und der äußerst ausgeprägten Feierlaune der Bevölkerung. Um das Arbeitsvisum und letztlich die sogenannte Carnet - eine Art bolivianischen Pass - zu bekommen, waren Besuche bei der bolivianischen Polizei, bei Interpol, eine ärztliche Untersuchung, zig Termine in der Migración und ein finanzieller Aufwand von insgesamt über 200€ notwendig – inklusive der Strafgebühren, die angefallen sind, weil es bei mir zusätzlich zu Komplikationen kam, da bei meiner Reisepassnummer eine Null durch ein „O“ vertauscht wurde...

 

Bei der Arbeit selber habe ich mich mittlerweile ganz gut eingelebt. Auch wenn meine Spanischkenntnisse noch deutlich besser sein könnten, klappt die Kommunikation soweit. Mein Wortschatz hat sich seitdem auch um sämtliche Vokabeln wie beispielsweise Gartenschlauch, Gießkanne und Schubkarre erweitert. Die Bereiche, in denen ich so arbeite, sind sehr verschieden. Mal arbeite ich mit den Pflanzen, ernte zum Beispiel irgendwelche Schoten oder gieße die zahlreichen Sträucher, die als Dekoration des Geländes dienen sollen. Mal helfe ich beim Bau des Gebäudes, das noch immer nicht ganz fertig gestellt ist oder gehe sonstigen Tätigkeiten nach, die gerade so anfallen. Mittlerweile habe ich aber auch bei den Schülern ganz gut Anschluss gefunden, sodass ich auch häufig Zeit mit ihnen verbringe und dabei sowohl etwas über Landwirtschaft, als auch über Land und Leute lerne. Auch mit meinen Chefs komme ich sehr gut klar, weil sie – typisch bolivianisch – eine sehr entspannte Mentalität an den Tag legen und mir somit bei der Arbeit viele Freiräume geben. Insgesamt gefällt es mir ziemlich gut: Selbst der Arbeitsweg stellt sich, seitdem ich mir mit einigen Anderen ein Fahrrad gekauft habe, als eine Art spaßige Sache dar, da ich für den zugegebenermaßen recht anstrengenden Hinweg bergauf, nachmittags mit einem zutiefst entspannten Rückweg, der ausschließlich aus Rollen besteht – lediglich unterbrochen, um bei einer Tienda ein Eis zu kaufen – belohnt werde.

 

Das Nachmittagsprogramm unter der Woche besteht dann meistens daraus, mit einer auf der Cancha erworbenen Gitarre auf dem Balkon zu sitzen und mit meiner Mitbewohnerin Cilli in Form eines Gesangduetts allen anderen auf den Sack zu gehen oder zu lesen. Aber zusätzlich dazu gehe ich mit einigen anderen jetzt seit Kurzen abends mehrmals pro Woche in Quillacollo Chacarera tanzen. Wenn wir uns dabei nicht allzu doof anstellen und uns das passende Kostüm zulegen, dürfen wir dann mit etwas Glück auch beim Carneval in Oruru – DAS Event in Bolivien - mittanzen.

 

Anfang September wagten wir dann erneut mit einer kleinen Gruppe eine Wanderung in den Bergen direkt hinter Bella Vista. Wieder ohne Weg und wieder das Abenteuer suchend, stellten wir dann irgendwann fest, dass wir uns wohl doch etwas überschätzt hatten, auch wenn wir diesmal an der 4500m-Grenze kratzten. Denn als es begann dunkel zu werden, waren wir gerade dabei, einen unglaublich steilen Abhang durch ein trockenes Flussbett hinunter zu kraxeln – mit Steinschlag. Nachdem wir nach diesem höchst riskanten und erschwerlichen Abstieg nach längerer Zeit im Stockdunkelnendlich die Straße weiter unterhalb erreicht hatten, hatten wir erneut das Glück, per Anhalter auf der Ladefläche eines Pick-Ups mitgenommen zu werden und uns somit einen kilometerweiten Rückweg zu ersparen. Rückblickend muss man sagen, dass wir schon ziemlich blöd und einfältig waren, aber geil war es trotzdem und ich wäre sofort wieder dabei, schließlich lernt man ja aus solchen genialen Aktionen!

 

Zwei Wochen später fuhr die gesamte Gruppe der Cochabamba-Freiwilligen mit unserer Freiwilligenbeauftragten Rosario nach Villa Tunari – einem Ort im bolivianischen Urwald -, um dort unser Einführungsseminar abzuhalten. Neben den Seminarinhalten blieb jedoch noch reichlich Zeit für andere und zugegebenermaßen deutlich spannendere Aktivitäten. So machten wir eine Rafting-Tour inklusive Klippenspringen, einen Spaziergang durch den Dschungel inklusive Affenstreicheln und einen Abstecher in eine Art Urwald-Spielplatz inklusive 10m-hohen und definitiv nicht TÜV-geprüften Urwald-Schaukeln.

 

Ansonsten bestand das Wochenend-Programm in letzter Zeit meistens aus Tanzen und Fiestas. So waren wir einmal mit den Tias – den Kindergärtnerinnen – aus Bella Vista in einer ranzigen, aber offensichtlich typisch bolivianischen Großraumdisco tanzen, wurden vom Chef des Apoyos – der Hausaufgabenbetreuung – aus Bella Vista zu einer Entrada – einem Umzug - ähnlich der Urkupina in einem zwei Stunden entfernten Ort mitgenommen, wo wir anschließend zu bolivianischer Live-Musik tanzten und das Highlight der meisten Bolivianer darstellten und tanzten bei einer Entrada durch Bella Vista mit – diesmal auch in schicken Kostümen. Der Name des Tanzes fällt mir leider nicht mehr ein. Nebenbei standen tagsüber häufig auch noch Fiestas in den Projekten an. Beispielsweise am Geburtstag der Fundación Cristo Vive Bolivia, am „Dia de los estudiantes“ - dem Tag der Schüler – oder bei der Einweihung des Internats, das sich auf dem selben Gelände wie die Landwirtschaftsschule befindet.

 

Sooo, das war's dann jetzt auch wieder für's Erste. Ich hoffe, dass ich mich nächstes Mal wieder etwas früher dazu aufraffen kann, einen weiteren Bericht zu schreiben, aber festlegen tu ich mich sicher nicht :) Bis zum 31.10. steht jetzt sowieso erst mal der erste Quartalsbericht an, den ich dann auch hier hochladen werde.

 

Bis dahin, muchos saludos de Bolivia

 

 

euer Lars


28.08. 2017: Ankunft, Paraden, Wandertouren und erste Arbeitstage

 

Hola mis amigos de Alemania!

 

 

Jetzt geht es endlich los, ich melde mich zum ersten Mal auf dieser Website von Bolivien aus. Wurde auch Zeit!

 

Nachdem ich in Deutschland die letzten Vorbereitungen für ein mein Jahr in Bolivien getroffen habe, wozu u.a. gehörte ungefähr zehn Kilo Kosmetika und Medikamente zu besorgen und den ganzen Kram in meinen Taschen zu verstauen, bin ich dann am Donnerstag, den 3.8.17 endlich vormittags in Bleckede losgefahren, um abends um sieben dann den ersten von drei Flügen zu nehmen. Nach der Verabschiedung meiner Eltern, meiner Schwester Marlisa und meinem Hund und nachdem ich es trotz einiger Komplikationen aufgrund eines Laptops innerhalb einer Tasche durch die Sicherheitskontrolle geschafft hatte, flog ich dann also (mit Laptop) insgesamt 13 Stunden von Frankfurt über Madrid und Santa Cruz nach Cochabamba.

 

Empfangen wurde dann die Gruppe der neun Amntena-Freiwilligen in Cochabamba von einigen Leuten der Fundación Cristo Vive, darunter auch unsere Freiwilligenbeauftragten Rosario, einer Gruppe Kindergartenkinder und drei ehemaligen Freiwilligen der Fundación. Kaum gelandet wurden wir dann auf der Ladefläche eines Transporters deponiert und an unseren Unterkünften abgesetzt. Ab diesem Zeitpunkt hatten wir dann zwei Tage Zeit, um erst einmal anzukommen und die ersten Eindrücke schon mal ansatzweise zu verarbeiten, bevor dann am Sonntag der Nationalfeiertag Boliviens (mit anschließendem Feiertag) anstand.

 

Am Sonnabend vorher konnten wir aus unserem Fenster in Bella Vista beobachten, wie ein Pulk von Menschen - bewaffnet mit Harken, Macheten und Streichhölzern - durch das Dorf zog und den überall verteilten Müll zu Haufen aufschichtete, um diese Haufen anschließend (bedacht auf den ökologischen Fußabdruck) in Brand zu stecken und so qualmende Plastiküberreste zu hinterlassen. (Inwiefern diese Aktion zur Sauberkeit Bella Vistas beigetragen hat, sei einmal dahin gestellt :) ) Abends kamen wir dann noch in den Genuss eines Umzuges mit Blasmusik direkt an der Wohnung vorbei, den wir dann von unserem kleinen Balkon beobachten konnten. Am Sonntag, dem eigentlichen Nationalfeiertag, hatten wir dann die Gelegenheit weitere Umzüge und Paraden, diesmal direkt in Cochabamba, anzusehen und einen ersten richtigen Blick auf einige Teile der „Big-City“ zu werfen. Auf jeden Fall stellte der Nationalfeiertag mit den Vorbereitungen darauf und dem anschließenden Feiertag am Montag, den wir zum Einkaufen und Umsehen in Quillacollo, der etwas größeren Stadt zwischen Bella Vista und Cochabamba , nutzten, einen würdigen Einstieg in das Jahr dar.

 

Nach diesem verlängerten Wochenende begann dann die ersten Arbeitswoche für uns Freiwillige. Da wir aber zunächst noch zwei Wochen einen Sprachkurs in Cochabamba besuchten, beschränkte sich die Arbeitszeit auf lediglich zwei Stunden am Vormittag, damit wir danach rechtzeitig nach Cochabamba aufbrechen konnten. Die ersten Eindrücke meiner Arbeitsstelle waren aber sehr positiv!

 

Am anschließenden Wochenende machte sich die gesamte Gruppe, inklusive der Freiwilligen der Fundación Cristo Vive Europa, die am Sonnabendmorgen angekommen waren, auf den Weg zum „Cristo“, der größten Jesus-Statue Südamerikas (also auch größer als die deutlich bekanntere in Rio).

 

Bei den folgenden drei Tagen handelte es sich dann mal wieder um Feiertage, da in Quillacollo die Urkupina stattfand, eines der krassesten Tanzfeste Südamerikas. Am Montag sahen wir uns den ewig langen Umzug durch die Straßen an, am Dienstagabend wir dann wir dann einer „Pilgerwanderung“ von Cochabamba nach Quillacollo teil, die mitten in der Nacht stattfand und auf einem Berg bei Quillacollo endete. Diese Wanderung stellte neben der Tatsache, dass es sich für einige wohl tatsächlich um einen religiösen Akt handelte, für die Bevölkerungen der beiden Städte ein großes Event dar - messbar an der Zahl der Fressstände am Straßenrand - , das für einige wohl auch eine Art bolivianisches Schützenfest bedeutete, da viele den Fußmarsch auch lattenstramm antraten. Auf dem Gipfel des Berges bei Quillacollo angekommen, überwog jedoch eindeutig der religiöse Aspekt. Die dort oben stattfindende Veranstaltung war sehr beeindruckend, auch wenn ich die Hintergründe nicht so richtig verstanden habe.

 

Die übrigen beiden Wochentage kehrte dann wieder der „Alltag“ mit Arbeit am Vormittag und Sprachschule am Nachmittag ein, bevor wir dann am Wochenende eine Wanderung auf einen der umliegenden Berge bei Tirani - einem Dorf, wo auch Freiwillige arbeiten - machten. Aufgrund des verzögerten Aufbruchs schafften wir dann jedoch nicht besonders viel Strecke, sondern beschränkten uns eher darauf, uns Cochabamba bei Nacht von oben anzugucken. Der Ausblick war die Mühen aber auf alle Fälle wert!

 

Nach einer weiteren Arbeitswoche, die immer mal wieder unterbrochen wurde durch Termine, die nötig waren, um das Visum zu beantragen, stand dann am folgenden Wochenende erneut eine Wanderung auf dem Programm. Diesmal mit einer kleineren Truppe machten wir uns, zunächst mit dem Trufi (dem am häufigsten verwendeten öffentlichen Verkehrsmittel) auf den Weg in die Berge direkt hinter Bella Vista. Das Abenteuer suchend beschlossen wir dann an der Endstation des Trufis einfach mal den vorhandenen Wanderweg zu ignorieren und uns stattdessen durch das Gestrüpp zu schlagen. Nachdem wir dann den ganzen Tag bei starker Steigung den Berg hochgelatscht waren und nachdem wir die Ernüchterung erfahren hatten, dass nach jedem von unten angepeilten Gipfel ein neuer Gipfel erschien, beschlossen wir, auf einer Höhe von 4040m und nachdem wir fast 1000 Höhenmeter zurückgelegt hatten, endlich das gesuchte Abenteuer gefunden zu haben. Den Rückweg traten wir dann nach einer längeren Erholungspause und einem ausgiebigen Fotoshooting an. Besagter Rücktritt stellte sich dann allerdings als deutlich einfacher als erwartet heraus, da wir auf der Schotterstraße, die wir auf dem Hinweg geflissentlich nicht genutzt hatten, auf ein Auto trafen, auf dessen Ladefläche wir dann hinunter gelangten. Dieser Tag war der für mich bisher aufregendste und schönste in Bolivien. Ich hoffe, dass noch weitere Wanderungen wie diese folgen werden, bin mir dessen aber relativ sicher ! :)

 

Das waren die aktuellsten Ereignisse von mir aus Bolivien. Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick in mein bisheriges Leben hier ermöglichen. Ich werde versuchen, mich bald wieder zu melden, kann aufgrund der Internetverhältnisse jedoch nichts versprechen. :)

 

Bis dahin, muchos saludos de Bolivia

 

 

euer Lars